UPGEGRADET - Aufwertung der Standesbezeichnung Ingenieur

Das Ingenieurgesetz 2017.

Aus der österreichischen Standesbezeichnung Ingenieur wird eine international vergleichbare Qualifikation.

Das österreichische Ingenieurgesetz geht in seinen Ursprüngen auf das Jahr 1917 zurück und wird daher demnächst 100 Jahre alt. Es definiert eine "Standesbezeichnung" Ingenieur, die bestätigt, dass der Inhaber über einen HTL-Abschluss bzw. den Abschluss einer höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalt und eine fachbezogene mehrjährige Praxis verfügt. Dieser Titel, der ja eigentlich gar keiner ist, erfreut sich in Österreich einer hohen Reputation und wird jährlich mehr als 4000-mal verliehen.

Außerhalb Österreichs hat diese Standesbezeichnung keine Bedeutung, denn mit einem formalen Bildungsabschluss auf der ISCED-Stufe 5 gilt man international und speziell im angelsächsischen Raum als "Technician" und nicht als "Engineer".

Nach der neuen Standardklassifikation im Bildungswesen ISCED 2011 der UNESCO, mit der die Bildungssysteme im OECD-Raum verglichen werden, zählen die 4. und 5. Jahrgänge einer berufsbildenden höheren Schule zur Stufe 5 - "Short Cycle Tertiary Education". HTL-Abschlüsse zählen daher bereits seit der Einführung der ISCED-2011-Klassifikation ebenso wie alle anderen Abschlüsse fünfjähriger höherer Lehranstalten bei internationalen Vergleichen als Kurzstudien im tertiären Bereich.

Bessere Positionierung im internationalen Umfeld

Für Führungskräfte werden aber im internationalen Umfeld - auf Grund verschiedener Qualitätsstandards und Compliance-Regeln - oft Qualifikationen zumindest auf Bachelorniveau gefordert. Hochqualifizierte österreichische Ingenieure sehen sich daher bei internationalen Projekten immer öfter mit formalen Barrieren in ihrer beruflichen Laufbahn konfrontiert. Um die österreichischen Ingenieurinnen und Ingenieure im europäischen Umfeld klar auf jenem Niveau zu positionieren, das ihrer Ausbildung entspricht und auf dem sie seit Anbeginn höchst erfolgreich tätig sind, wird daher im nunmehr vorliegenden Ingenieurgesetz 2017 eine Qualifikationsbezeichnung "Ingenieur" und "Ingenieurin" definiert. Die entsprechenden Qualifikationen sind von den Bewerberinnen und Bewerbern in einem Fachgespräch vor einer Zertifizierungskommission nachzuweisen. Man geht dabei davon aus, dass Qualifikationen nicht nur auf formalem Weg über Lehrgänge, sondern auch auf informellem Weg im beruflichen Alltag, also durch "learning by doing" erworben werden können. Die Qualifikationsniveaus werden dabei durch den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) festgelegt, der sich seinerseits auf den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) bezieht, wobei bei diesem Fachgespräch Kenntnisse, Fertigkeiten und soziale und personale Kompetenzen auf dem Niveau 6 erwartet werden. Dem NQR-Niveau 6 sind einerseits ein akademischer Abschluss auf Bachelorniveau zugeordnet und anderseits alle formalen, non-formalen und informellen Qualifikationen, die stark vereinfacht zur "Leitung komplexer fachlicher oder beruflicher Tätigkeiten oder Projekte und Übernahme von Entscheidungsverantwortung" befähigen. Näheres ist dazu auf der Homepage der Koordinierungsstelle für den NQR in Österreich nachzulesen.

Diese Gleichwertigkeit von Ingenieur und Bachelor darf nun keinesfalls mit einer Gleichstellung verwechselt werden. Schließlich werden im beruflichen Alltag ganz andere Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen erworben als im Rahmen eines formalen Studiums desselben Fachgebietes, auch wenn sie auf gleichem Niveau eingestuft werden. Es kann daher keinesfalls erwartet werden, dass mit der gewerblichen Meisterprüfung oder mit der Qualifikationsbezeichnung Ingenieur die Voraussetzungen für ein Masterstudium an einer Fachhochschule oder Universität verbunden wäre. Dazu würden ja allein schon die mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen für ein ingenieurwissenschaftliches Studium fehlen. Ebenso wäre es völlig verfehlt, im Zusammenhang mit dem neuen Ingenieurgesetz von einem "akademischen Titel" zu sprechen. Ein solcher wird nur von einer Hochschule oder Universität verliehen. Die einleitende Grafik veranschaulicht, wie man sich die Positionierung der unterschiedlichen Bildungsabschlüsse auf die Bereiche eines Berufsfeldes vorstellen kann.

Der Kern jeder Ingenieurkompetenz liegt in den Bereichen Konstruktion und Produktentwicklung und unterscheidet sich damit von anderen technischen oder naturwissenschaftlichen Ausbildungen oder Berufsfeldern wie Meister oder den Bereichen Wissenschaft und Forschung einer akademischen Ausbildung. Die Qualifikationsniveaus mögen in den verschiedenen Berufsfeldern jeweils gleich sein, aber die inhaltliche Ausrichtung ist eben eine andere. Diese Unterscheidung ist zwar nicht trennscharf, aber hilfreich, um den Ingenieurbegriff im beruflichen Umfeld einzugrenzen. Ergänzend sei hier angemerkt, dass die dargestellten NQR-Niveaus derzeit noch nicht festgelegt sind. Der Prozess der Einstufung durch die NQR-Koordinierungsstelle wird voraussichtlich im ersten Quartal 2017 stattfinden. Lediglich die akademischen Abschlüsse sind per Gesetz entsprechend der Bologna-Struktur festgelegt. 

Standardisierter Qualifikationsprozess

Um die Qualifikationsbezeichnung Ingenieurin oder Ingenieur zu erlangen, wird es also in Zukunft notwendig sein, sich einem standardisierten und nachvollziehbaren Qualifikationsprozess zu unterwerfen. Dazu werden in jedem Bundesland Zertifizierungsstellen eingerichtet, bei denen man seine Bewerbung über eine zentrale Homepage beim Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft einreichen kann. Je nach Fachgebiet werden diese Zertifizierungsstellen bei den Wirtschaftskammern, an einer HTL oder einer anderen Organisation sein. Dem Antrag sind neben dem Reife- und Diplomprüfungszeugnis und Bestätigungen allfälliger fachlicher Weiterbildungen noch Bestätigungen über zumindest drei Jahre facheinschlägiger Praxis sowie aussagekräftige Beschreibungen der ingenieurmäßig ausgeführten Tätigkeiten beizulegen. Das geschieht insbesondere anhand von Referenzprojekten, mit welchen der Antragssteller oder die Antragstellerin im Rahmen seiner oder ihrer Praxistätigkeit betraut war. Ein Referenzkatalog für die dabei nachzuweisenden Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen legt fest, auf welchem Niveau diese Qualifikationen erwartet werden. Nach formaler Prüfung durch die Zertifizierungsstelle werden die Bewerberinnen und Bewerber zu einem Fachgespräch mit einer Zertifizierungskommission geladen. Die Zertifizierungskommission besteht aus zwei Personen. Eine Person kommt aus der beruflichen Praxis, die zweite Person ist aus dem Kreis der facheinschlägig tätigen HTL-Lehrkräfte oder der Lehrenden einer technischen Universität oder Fachhochschule zu bestellen. Beide Kommissionsmitglieder müssen mindestens über die Qualifikation eines Ingenieurs im betreffenden Fachgebiet verfügen und zu Beginn der fünfjährigen Bestellung im aktiven Berufsleben stehen. Die Mitglieder der Zertifizierungskommission sind selbstverständlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das Fachgespräch ist keine Prüfung, sondern hat den Charakter eines Expertengesprächs. Dabei werden die im Antrag genannten Aufgaben und Projekte aus der beruflichen Praxis hinsichtlich der dabei gewonnenen fortgeschrittenen Fachkenntnisse und Fertigkeiten sowie die dabei genützten (Leitungs-)Kompetenzen beleuchtet und die Komplexität der Aufgabenstellung, der Grad der Selbstständigkeit und die Entscheidungsverantwortung hinterfragt.

Die Kenntnisse, Fertigkeiten und die sozialen und personalen Kompetenzen, die der europäische und dementsprechend auch der nationale Qualifikationsrahmen für ein bestimmtes Niveau verlangt, sind grundsätzlich lernergebnisorientiert definiert, das heißt unabhängig davon, auf welchem Weg sie erworben wurden. Es würde daher dem Prinzip der Lernergebnisorientierung widersprechen, wenn der Zugang zum neuen Ingenieurtitel auf HTL-Absolventinnen und -Absolventen beschränkt wäre. Dementsprechend steht der Zugang zum neuen Ingenieurtitel in gleicher Weise für Absolventinnen und Absolventen technischer Studienrichtungen an Fachhochschulen und Universitäten offen. Auch Personen, die eine Meister-, Befähigungs- oder Werkmeisterprüfung abgelegt haben, können um eine Zertifizierung nach dem neuen Ingenieurgesetz ansuchen. Die Qualifikationsbezeichnung setzt sich aus höherer Fachtheorie, höherer Allgemeinbildung und dem Nachweis berufspraktischer Handlungskompetenz im Fachbereich zusammen. Den inhaltlichen Kern bilden dabei die Bereiche "Konstruktion und Produktentwicklung". Voraussetzung ist daher eine technische Qualifikation, die einer HTL-Fachrichtung von Inhalt und Umfang entspricht, sowie der Nachweis höherer Allgemeinbildung wie beispielsweise einer Berufsreifeprüfung. Abhängig von der individuellen Lernkarriere sind allenfalls Ergänzungsprüfungen erforderlich. Die ingenieurmäßige Praxis beträgt für diese Zugänge sechs Jahre.

Inkraftsetzung des Ingenieurgesetzes am 1. Mai 2017

Auf der Homepage des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft werden im Laufe des ersten Quartals 2017 alle Informationen, Kontaktstellen und Anmeldeformulare zur Verfügung stehen. Der Start ist mit der Inkraftsetzung des Ingenieurgesetzes 2017 am 1. Mai 2017 vorgesehen. Bis dahin können noch Anträge für die alte Standesbezeichnung "Ingenieur" eingebracht werden. Für die Trägerinnen und Träger dieser Standesbezeichnung gibt es in diesem Zusammenhang eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die alte Standesbezeichnung nicht automatisch in eine Qualifikationsbezeichnung upgegradet wird. Dazu muss man einen neuen Antrag einreichen und sich in gleicher Weise dem hier beschriebenen Qualifikationsprozess unterziehen. Die gute Nachricht - auf ihrer Visitenkarte werden die beiden "Ing." nicht zu unterscheiden sein.

AUTOR
Dipl. Ing. Wolfgang Scharl ist Leiter der Abteilung II/2 - Technische, gewerbliche und kunstgewerbliche Schulen im Bundesministerium für Bildung. Veröffentlicht in "Weg in die Wirtschaft" BMHS-Gewerkschaft in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, 6/2016, 67. Jahrgang, Nr. 661

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